Hörbare Emotionen in der Tangofabrik
Für viele, die die Anfänge der elektronischen Musik miterlebt haben, stellte sich während der letzten Jahre eine gewisse Resignation ob der fragwürdigen Entwicklung der Szene ein. Immer wieder neue Kopien des bereits Dagewesenen konnten nicht hinwegtäuschen über die zunehmende Stagnation. "Ich buch dich, du buchst mich" - Philosophien sorgen für zunehmende Langeweile in den Clubs, extensiver Drogenkonsum der nachwachsenden Generation ersetzt die einst so familiäre Atmosphäre durch ein Gefühl der Entfremdung und Isolation. Schlampig organisierte Partys ohne Liebe zum Detail überschwemmen den Markt, wirtschaftliche Trittbrettfahrer hoffen mit dicken Headlinern und großen Werbeetats auf das schnelle Geld. Stupide Härte im Sound regiert die Technohallen, belangloses Gedudel die Housefloors. Die Helden der Anfangsjahre verlieren sich in mikrotechnischen Soundtüfteleien oder konstruieren philosophisch anmutende Überbauten für ihre immer weniger verstandene Musik. Währenddessen entziehen sich neue Produzenten mit geradezu inflationären Label-Neugründungen der qualitativen Selektion durch bestehende Instanzen zwecks Überschwemmung des Vinylmarktes mit billiger Massenware.
"Früher war alles besser!", darf man zwar nicht sagen, aber insgeheim denken es ja doch alle, oder?
Einhergehend mit der in Fachkreisen gern als "Gesundschrumpfen" schöngeredeten Talfahrt vieler etablierter Partyhöllen zogen sich viele "Veteranen" der Anfangszeiten auf ein anderes Feld zurück: Weg vom sich ständig wiederholenden 4/4-Prinzip, hin zu offeneren Stilarten, in denen hoher musikalischer Anspruch und künstlerische Qualität ein zentrales Thema bilden. Nicht jeder ist Fan dieser Abgrenzung vom gemeinen "Jawoll"-Brüller, liegt doch die Gefahr eines gewissen Elite-Selbstverständnisses nahe. "Musically educated people" sind das neue alte Publikum, die Zeit der wilden Exzesse im Narkotika-Rausch längst vorbei. "Gediegen" ist so ein Schlagwort dieser neuen Art des Feierns, die Institution der „Lounge“ etabliert sich als Ort des gemütlichen Plauschens bei guter Musik.
Eine der ersten, die dieser Entwicklung in Leipzig ein regelmäßiges und offizielles Forum gegeben haben, waren die Leute vom ehemaligen Kosmophon. Mario Leyer arbeitete dort drei Jahre lang und bestimmte im wesentlichen Programm und Konzeption des Clubs. Heute ist er Teil der Audio Emotions Crew - benannt nach dem Thema der letzten Geburtstagsparty im Kosmophon (anno 2000). Mario ist also einer der Veranstalter, die hinter der Reihe "Jazz-in-Fusion" stehen.
Eben jene hat sich durch konsequent qualitativ hochwertige Events abseits der gängigen Soundkonventionen als eine feste Größe der Leipziger Kulturlandschaft etabliert und spätestens nun, da die aktuelle Staffel (bereits die vierte) sich dem Ende zuneigt, wird es allerhöchste Zeit, etwas mehr darüber zu erfahren:
Welches Konzept steckt hinter Jazz-in-Fusion? Welche Ziele habt ihr euch gesetzt, welches Publikum wollt ihr damit ansprechen, wie lange macht ihr das eigentlich schon?
Audio Emotions ist eine über zwei Jahre gewachsene Crew, bestehend aus einem engeren Team von fünf Leuten (Organisation, Technik, DJing, Dekoration und Animation) sowie demnächst drei weiteren DJs und vielen, vielen Helfern. Der Name Audio Emotions bezieht sich auf eine für mich sehr sinnfällige Definition eines Musikwissenschaftlers über Musik: Musik ist hörbare Emotionen. Dies ist zugleich der Anspruch dieses Projekts. Neue, zeitgemäße und alternative musikalische Identitäten finden und schaffen. Wir wollen kein bestimmtes Publikum ansprechen, das selektiert sich von selbst durch die Musik. Musikalisch setzt das allenfalls bestimmte Hörgewohnheiten voraus. Spannungsabläufe im Programm sind wichtig, das Publikum sollte offen sein und Lust auf Abwechslung, Veränderung und Überraschungen haben. Da wir noch vorwiegend für den Dancefloor veranstalten, ist der Groove sehr wichtig, dieser wiederum spricht eher Leute an, die auf positive Vibes stehen.
Würdest du sagen, ihr habt mittlerweile das erreicht, was ihr euch ursprünglich zum Ziel gesetzt hattet? Gewissermaßen bildet Jazz-in-Fusion ja einen elementaren Bestandteil des musikalischen Programms der Tangofabrik.
Die hohe Akzeptanz hat unsere Erwartungen bei weitem übertroffen. Mittlerweile sind wir soweit, dass wir eine weitere Veranstaltungsreihe anbieten können (mehr dazu in der nächsten Ausgabe, Anm. d. Red.). Große Ziele verfolgen wir nicht, wir sagen immer: „Schauen wir mal, was der Ball macht“. Schön wäre es, wenn aus Audio Emotions mal ein Label wird, was man nicht nur in Leipzig kennt. Aber das ist wirklich Zukunftsmusik. Und das wichtigste für uns erleben wir bei jedem Abend der JAZZ.IN.FUSION - selbstvergessene Menschen mit einem Lächeln im Gesicht.
Und wie seid ihr auf die Tangofabrik als Location gekommen?
Ich habe einmal unter der Woche einen der Tangoabende erlebt. Eine so stimmungsvolle und dichte Atmosphäre, welche eigentlich nur mit ein paar Fabrikdeckenleuchten, Kerzenlicht und einer Tanzfläche aus Parkett erzeugt wurde, habe ich bis dahin selten erlebt.
Würdest du sagen, Jazz-in-Fusion ist untrennbar mit der Tangofabrik verknüpft oder wäre eure Veranstaltung auch an einem anderen Ort denkbar?
Grundsätzlich können wir uns natürlich vorstellen auch woanders zu veranstalten, aber wir sind sehr glücklich in der Tangofabrik und für die JAZZ.IN.FUSION fällt mir derzeit keine bessere Location ein, außerdem finde ich Loyalität unheimlich wichtig.
Mit der Idee, elektronische Musik (bzw. traditionell musikalische Elemente in Fusion mit modernen elektronischen Sounds) in die Tangofabrik zu bringen habt ihr ja gewissermaßen eine Vorreiterrolle eingenommen. Inzwischen findet man hier fast jedes Wochenende Fremdveranstaltungen aus diesem Bereich. Wie beurteilt ihr diese Entwicklung, seht ihr da vielleicht Gefahren für den Ruf sowohl eurer Veranstaltung als auch für den der Tangofabrik als exklusive Location für gediegene Sounds & anspruchsvolles reiferes Publikum?
Die Tangofabrik war und ist ein Veranstaltungsort mit unterschiedlichsten Veranstaltungen. Eine Location dieser Größenordnung und Ausstattung sollte man nicht auf ein bestimmtes Klientel ausrichten. Das hat sowohl wirtschaftliche als auch inhaltliche Vorteile. Es ist eine sehr schnelllebige Zeit, vor allem im Veranstaltungsgeschäft. Man ist flexibel und bleibt offen, auch inhaltlich kann ich mir daher keine zeitgemäßere und lebensnahere Konzeption vorstellen.Außerdem, so wie die Musik selektiert, so selektiert auch die Ausstrahlung einer Fabrikhalle. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Tangofabrik mit ihrer Ausstattung für gewisse musikindustrielle Ansprüche und Mechanismen verschlossen bleibt.
Im November hattet ihr einen Abend, der sich ganz den „local heroes“ verschrieb – Nachwuchsförderung bzw. local support scheint also eine wichtige Rolle bei euch zu spielen. Nach welchen Kriterien wählt ihr eure Gäste aus?
Wir finden, dass sich Leipziger DJs und auch Produzenten aus dem alternativen Dancefloorbereich überhaupt nicht zu verstecken brauchen. Woran es tatsächlich fehlt sind Strukturen und Plattformen, dass braucht halt seine Zeit. Für mich ist wichtig, dass ein DJ nicht nur Sendungsbewusstsein hat, sondern sich auch Gedanken darüber macht, wie er das den Leuten auf der Tanzfläche am besten vermittelt.
Mit der Veranstaltung am 13.12.2004 endet eure aktuelle „Staffel“. Wann können wir die nächste erwarten und was könnt ihr uns heute schon darüber verraten?
Die nächste Staffel beginnt wieder im April nächsten Jahres, wie gewohnt den zweiten Samstag im Monat. Da wir bei der JAZZ.IN.FUSION dem Live-Charakter noch mehr Raum zur Entfaltung bieten wollen, haben wir bei der kommenden Staffel mehr Live-Elemente im Programm. Auf dem noch nicht bestätigten Wunsch-Lineup stehen: „Café Drechsler“, ein Wiener Projekt, „Micatone“ von Sonar Kollektiv und ein spezielles DJ-Live-Programm der Hallenser Bigbork und Beatnik.
Teil 3 der aktuellen Jazz-in-Fusion Reihe mit Rainer Trüby (Trüby Trio/Compost Rec., München) – solo - und dem Live-Projekt von Marlow (Moon Harbour/Distillery, Leipzig) feat. Claudia Nehls findet am 13.12.2004 wie gewohnt in der Tangofabrik in der Spinnereistr. 7 in Leipzig statt. Text & Interview: Steffen Bennemann