Shandurai und der Klavierspieler
- Genre
- Drama
- Regie
- Bernardo Bertolucci
- Darsteller
- Thandie Newton, David Thewlis, Claudio Santamario
- Produktion
- Italien / England 1998, 93 Min., Alive
Bewertung
Redaktion, Apr 20055 / 5 Sternen
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Shandurai flüchtet aus einer afrikanischen Diktatur nach Italien, nachdem sie mit ansehen musste wie ihr Ehemann aus politischen Gründen inhaftiert wurde. Sie flieht nach Rom und beginnt dort, Medizin zu studieren. Ihren Lebensunterhalt verdient sie sich als Hausmädchen des zurückgezogen lebenden englischen Pianisten Jason Kinsky. Der Musiker hat einen prächtigen Palazzo in Rom geerbt und führt dort ein kreativ wie emotional erstarrtes Leben. Beide könnten unterschiedlicher nicht sein: Shandurai, eine selbstbewusste junge Frau und sich den Unwägbarkeiten des Lebens stellt und Kinsky, ein dandyhafter, verknöcherter Ästhet, der sich in seine eigene Welt zurückgezogen hat. Dennoch verliebt sich Kinsky in Shandurai und beginnt, sie mit Geschenken zu umwerben. Sie weist ihn immer wieder ab, stellt ihm aber schließlich eine Bedingung für ihre Liebe: Er solle alles tun, um ihren Mann aus dem Gefängnis zu befreien. Kinskys Antwort auf diese Herausforderung verändert beider Leben radikal.
Es ist nicht so sehr die Geschichte (eine Adaption einer Kurzgeschichte des englischen Schriftstellers James Lasdun), die den Film so interessant macht. Es ist die Art der filmischen Erzählung, die uns in die Psychologie der Figuren hineinzieht. Und diesen Sog erzeugt Bertolucci hier durch den sehr subtilen Einsatz von Musik, durch die opulente visuelle Regie und herausragende Darsteller. Schon während der Anfangstitel wird die zentrale Rolle der Musik deutlich, für die Alessio Vlad verantwortlich zeichnet.
Musik ist in SHANDURAI UND DER KLAVIERSPIELER mehr als ein Hintergrund, der für eine Stimmung sorgt. Sie ist vielmehr ein Bestandteil des erzählten Geschehens und wird in ihrer Allgegenwart so etwas wie eine zusätzliche Figur. Wir hören vielmehr die wachsende Liebe Kinskys für Shandurai in den rhythmischen Motiven, die auf einmal in seiner eher akademisch-klassischen Musik zu hören sind. Kinsky ist angesichts seiner Liebe sprachlos, es scheint fast, als sei sie auch für ihn selbst nur in seiner Musik erlebbar.Shandurais Entwurzelung wird deutlich, wenn sie die Popmusik ihrer Heimat hört.
Bertoluccis immer wiederkehrender Einsatz von Mobiliar als Zeichen wäre eine eigene Untersuchung wert: Im Letzten Tango spiegelt sich die psychologische Verödung in der Leere des unmöblierten Apartments, in dem Marlon Brando und Maria Schneider ihre sadomasochistische Beziehung durchleben; in Bertoluccis jüngstem Film Die Träumer ist es die bourgeoise, fast klaustrophobisch übermöblierte Pariser Wohnung, deren überhitzte Atmosphäre erst ein Pflasterstein der Mai-Unruhen 1968 zu durchbrechen vermag.
In SHANDURAI UND DER KLAVIERSPIELER führt die selbstbestimmte Aufgabe von Besitz zu einer wenn auch ambivalenten emotionalen Weiterentwicklung. All diese Filme sind letztlich Meditationen über einige Varianten der Liebe – als Selbstauslöschung, als Selbsterfahrung, als Opferbereitschaft. Welche Formen des gegenseitigen Gebens und Nehmens sind in einer Beziehung gerechtfertigt? Bertolucci hält unser Interesse SHANDURAI UND DER KLAVIERSPIELER dadurch wach, dass er diese Fragen nicht platt beantwortet, sondern mitreißende ästhetische Ausdrucksmöglichkeiten findet, um sie immer wieder aufs Neue zu stellen. (Danny Ulbrich)