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Surgeon - Interview

Titelmotiv -

Der englische Chirurg Anthony Child – wenn man es wörtlich nimmt – präsentiert seit über 1,5 Jahrzehnten eine perfekte Kombination von fortschrittlich denkendem, häufig experimentellem Techno mit altbewährten Hausmitteln unter dem Einsatz neuerster Technik. Regelmäßig bekommen dies Technoliebhaber kontinental verschrieben. Die ältere Generation schwört nicht ohne Grund auf seine Methoden. Einen Einblick in dessen Praktiken für Ohren und Beine liefert der kreative Birminghamer am Ostersonntag im Rahmen der Veranstaltung ‘Liquid Sunday’. In Vorbereitung darauf bohrten wir gezielt bei ihm nach – selbstverständlich ebenfalls zwecks Risiken und Nebenwirkungen.

Du produzierst und trittst auch zusammen mit Regis als ‘British Murder Boys’ (BMB) auf. Wie kam es zur Auswahl dieses Projektnamens und deiner DJ Bezeichnung?
Karl (Regis) dachte sich den Namen ‘BMB’ aus, damit wirst du ihn fragen müssen, wie er darauf gekommen ist. Ich lege bereits seit über 15 Jahren unter dem Namen ‘Surgeon’ auf und kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wo dieser herkam.

Was ist der Unterschied zwischen deinen beiden Labels ‘Dynamic Tension’ und ‘Counterbalance’?
‘Dynamic Tension’ wurde von jeher geplant als Basis für mehr rein elektronische Sounds und Rhythmus & Ton. ‘Counterbalance’ war mehr in der Nähe von 'Sampling' (wörtlich und metaphorisch) außerhalb von Techno.

Warum gab es eine lange Pause ohne irgendeine Veröffentlichung bei ‘Dynamic Tension’?
Ich habe niemals etwas wie monatliche Veröffentlichungszeitpläne bei meinen Labels festgelegt. Es war immer eine Sache des Herausbringens einer Platte, wo ich fühle, dass ich etwas zu sagen habe, was in die Agenda jenes bestimmten Labels passt.

Bist du noch beim Label ‘Downwards’ engagiert, bei welchem in der letzten Zeit einige Nachpressungen veröffentlicht wurden?
Ich habe eine enge Verbindung zu Karl und seinem Label ‘Downwards’ seit über 10 Jahren, obgleich ich nichts mit der Leitung des Labels zu tun habe.

In deinen Sets integrierst du oft experimentelle Klänge mit düsteren industriellen Elementen in Kombination mit neuen Tracks und Klassikern. Was ist deine Intention mit so einem Mix?
Ich spiele Musik, welche mich begeistert und interessiert oder die eine spezifische Funktion in meinem Set ausführt. Die Performance mit ‘Ableton Live’ erlaubt mir viel größere Freiheit zur Integration einer viel umfassenderen akustischen Palette.

Bitte erkläre wie du die Tracks vor einem Auftritt selektierst?
Die von mir ausgewählten Musikstücke sind abhängig von der Idee, die ich bei dem Gig präsentiere möchte. Jedoch kann sich dies während der Performance ändern und ich bin in der Lage viele andere musikalische Stücke aufzurufen.

Waren die älteren Tracks ein großer Einfluss auf deinem musikalischen Weg?
Viele, viele Dinge sind ein Einfluss auf meinem musikalischen Kurs, natürlich ältere Stücke, neue Tracks, aber auch viele Bücher, Filme sowie Reiseerlebnisse.

Wie würdest du deinen eigenen Stil beschreiben?
Schwer zu sagen, ich sehe es als eine Mischung von vielen Bestandteilen, auch wenn ich das Endergebnis nach wie vor als ‘Techno’ bezeichnen würde.

Diese Frage habe ich ebenso James Ruskin im Interview mit ihm gestellt. Einige englische Produzenten (z.B. James Ruskin und du) haben einen sehr eigenen Technostil etabliert, welcher nicht sehr oft bei Partys in deinem Heimatland zu hören ist, aber sehr bekannt in einigen anderen Ländern ist. Was ist deine Meinung zu dieser Situation?
Ich lege sehr oft in UK auf und dort gibt es immer noch einige der am meisten energiegeladenen und mitgehenden Publikums. Es scheint auch, dass sie sehr direkt mit den anderen musikalischen Referenzen in meinen Sets verbunden sind.

In welchen Ländern hast du die Erfahrung gemacht, dass jener Stil sehr beliebt ist?
UK, Spanien, Japan, Brasilien, USA, Holland, Slowenien, Tschechische Republik, Slowakei etc...

Du bevorzugst die Nutzung von DJ Software. Was sind deine Erfahrungen in der Arbeit mit dieser technischen Unterstützung und seinen Möglichkeiten?
In den letzten 5 Jahren lege ich als DJ mit Softwareverwendung auf. Für mich war es eine natürliche Entwicklung. Ich genieße es wirklich, es erlaubt mir verschiedene Stile in einer Art zu kombinieren, die zum Beispiel beim Auflegen mit Vinyl nicht möglich wäre.

Es gibt eine Kontroverse zu diesem Thema. Was denkst du? Ist Vinyl der Weg der Dinosaurier, wie es Richie Hawtin sagte?
Nein, keinesfalls. Der einzigste wichtige Fakt ist, dass es für DJs heutzutage viel mehr Möglichkeiten zum Auflegen gibt.

Was weisst du über die momentane Situation der Szene für elektronische Musik in Deutschland? Bist du oft für Veranstaltungen oder Partys in Deutschland gebucht?
Ich war es gewohnt von 1995-2000 sehr oft in Deutschland aufzulegen und hatte während dieser Zeit eine monatliche Residenz im Club ‘Tresor’ über 3 Jahre, aber mit der Zunahme der ‘fashion music’ habe ich in den letzten Jahren nicht mehr so häufig dort gespielt.

Wie wählst du Künstler oder Tracks für Remixe aus?
Bis zum jetzigen Projekt "Whose Bad Hands Are These" war der Plan für Leute, die meine Musik neu mixen, wirklich langweilig. Mick Harris fertigte 3 Remixe meiner Tracks für ‘Tresor’ an. Für das derzeitige Vorhaben habe ich Künstler ausgewählt, deren Musik mich begeistert.

Auf deiner Website habe ich von bevorstehenden Remixen bei den nächsten beiden ‘Dynamic Tension’ Platten von Warps Autechre, Monolake (Teil des Entwicklungsteams von ‘Ableton’), Vex’d (Planet Mu) und DisinVectant aus deiner Heimatstadt Birmingham gelesen, was ein Treffen von erfahrenen mit talentierten Produzenten/Remixern ist. Wie kam es zu der Idee, sie bei diesen Veröffentlichungen zu beteiligen?
Ich gab den Remixern kleine Teile der nicht beendeten Tracks, um ihre Interpretationen ungetrübt von einem fertigen Stück von mir zu erhalten. Die Ergebnisse sind sehr interessant. Jeder produzierte ausgehend vom selben Ausgangspunkt sehr verschiedene Resultate.

Interview: Sven Hanke

related link: www.dj-surgeon.com