Wir schreiben das Jahr 2002 – Recall 8 ist angesagter Vorzeigeresident im Kult Club Achtermai und Carsten Rechenberger ein aufstrebender junger DJ aus dem verschlafenen Annaberg - Buchholz. Nichts deutet zu diesem Zeitpunkt daraufhin, das die Konstellation dieser beiden Protagonisten, vier Jahre später in einem Melting Pot des innovativsten Labels Mitteldeutschlands mündet. Die beiden Miditonal Heads spiegeln mit ihrem Sound den innovativen Zeitgeist einer aufstrebenden neunen Generation von Handschraubern und Soundfetischisten wieder, der in uneingeschränktem Maße das Blut mittlerweile hunderter treuer Anhänger deutschlandweit in Wallung bringt.
Interview: Sven Hanke | Text: Nico Walther
Demnächst steht die Veröffentlichung der Miditonal 8 an. Was dürfen die Leute diesmal erwarten?
CR: Nach der MIDI005 heißt es nun zum zweiten Mal „Midi meets“. Dabei muss erwähnt werden, dass der grundliegende Gedanke dieser Serie darin besteht, die musikalische Arbeit zweier gleich gesinnter Labels zu bündeln und auf Vinyl zu verwirklichen. Diesmal haben wir uns mit dem „Chan `n` Mikes“ Labelowner Michael Forshaw und seinem Partner Dan Lurinsky zusammen getan und präsentieren mit den beiden Britten „Midi meets Chan ’n’ Mikes“. Das Ganze wird als Doppelvinyl erscheinen, auf der einerseits Dan und Michael unter dem Projekt „The Flying Lurinskys“ ihr Vinyldebüt feiern und andererseits wir, zusammen mit unseren Freunden Queaver & Versis, den MIDI-Part vertreten. Gesamt gibt es zehn Tracks und ein paar Hörspiele auf die Ohren, die wir allesamt auf verschiedenen Releaseparties „live“ vorstellen werden. So wird es neben dem Miditonal-Showcase zum Liquid Sunday, noch eine Party am 6.Mai im Alten Salzwerk in Wilhelmshall geben, auf der unter anderem „The Flying Lurinskys“ ihre Deutschlandpremiere bestreiten.
Was ist außerdem an kommenden Releases geplant? Sind auch schon Sublabels für die Zukunft angedacht?
R8: Kurz, Nummer 9 wird die „Amplify The Force EP V5.0“ und auf der Nummer 10 wird unser kleines Jubiläum mit Remixen und ein paar unveröffentlichten Tracks gefeiert. Außerdem arbeiten wir schon seit geraumer Zeit an unserem Sublabel Microtonal, auf dem noch im zweiten Quartal diesen Jahres das erste Release erscheinen wird. Musikalisch widmet sich das Ganze mehr dem minimalen und klassischen Techno-House-Sound. Wir selber werden aber vorerst nicht musikalisch mitwirken, sondern kümmern uns ausschließlich um die Gesamtkoordination des Labels. Vom Konzept her möchten wir gern, den vom Midi-Imprint bekannten Mix aus Newcomern und „Szenegrößen“, beibehalten.
In letzter Zeit seid ihr ja häufig als Liveact unterwegs. Was sind dabei die wesentlichen Unterschiede zu euren Auftritten als DJ’s bzw. als DJ-Team? Welche Darbietung bereitet euch mehr Spaß? Gibt es bestimmte Vor- und Nachteile zwischen einem Auftritt als DJ oder Liveact?
CR: Der wesentliche Unterschied zwischen dem Performen als DJ und Liveact liegt neben den technischen Gegebenheiten prinzipiell darin, dass man als Liveact doch eher an seine eigenen Produktionen gebunden ist und nicht so flexibel aus dem breiten Repertoire eines Plattenkoffers schöpfen kann. Andererseits wirkt man als Team einfach geschlossener und präsentiert noch mehr Herzblut mit seinem persönlichen Sound. Allerdings gibt es dabei keine „Spaßunterschiede“. Egal ob „live“ oder als DJ, man sollte sich als Musiker immer dessen bewusst sein, dass ein Gast Eintritt zahlt und somit auch dich als Künstler bezahlt. Daher ist es einfach deine Pflicht, eben genau diesem Gast eine gute Zeit zu bereiten. Egal ob du dich auf einer Party als DJ identifizierst oder auf einer anderen Party als Liveact, du musst immer hundert Prozent in deine Performance stecken und auch durch einen eigenen Sound oder durch eine einzigartige Plattenauswahl bestechen.
Welches Equipment kommt bei eurer gemeinsamen Liveperformance zum Einsatz? Bestehen dabei technische Unterschiede im Vergleich zur Studioproduktion? Wie kann man sich einen typischen Produktionsablauf bei euch vorstellen?
R8: Wir haben uns seit Anfang an ausschließlich auf Live-Hardware festgelegt, was mittlerweile einen Umfang von 4 Korg SX-Samplern, einem Midisequenzer und einem Pult + Effekteinheit ausmacht. Die Umsetzung unserer Tracks wird dann hauptsächlich mit Software realisiert. Aber gerade in letzter Zeit fließen auch da unsere Live-Geräte immer mehr mit ein. Einen typischen Produktionsablauf bei uns kann man sich folgendermaßen vorstellen: Eine Kiste Bier und vier Mal Nudeln mit Döner... Ok, Spaß bei Seite, es sind zwei Kisten Bier! Nein, eigentlich arbeiten wir größtenteils getrennt voneinander. Jeder von uns baut dabei seinen Liveact-Part per Hardware aus und präsentiert Wochenende für Wochenende, nicht nur dem Publikum neue Tracks und Pattern, sondern auch seinem Gegenüber. Wenn uns Beiden ein Track bzw. Part kickt oder beim Publikum gut ankam, greifen wir ihn später gemeinsam im Studio auf, setzen ihn per Software um oder basteln via Internet am Arrangement. Leider ist Carsten durch seinen Job bei Deejay.de auch an seine Wahlheimat Hof gebunden, somit bleibt nur bedingt Zeit die Sachen gemeinsam an einem Ort zu produzieren. Allerdings, haben wir eine für uns perfekte Arbeits- und Aufgabenverteilung gefunden, haben darüber hinaus einen stark ähnelnden Musikgeschmack und können uns in jeder Lage vertrauen, dass erleichtert natürlich Einiges.
Apropos Arbeitsteilung – wie sieht diese eigentlich aus, um mit einem Label wie Miditonal so erfolgreich agieren zu können?
CR: Wie gerade schon angeschnitten, herrscht bei uns eine gute, nahezu perfekte Arbeitsteilung. Denn um ein Label auf Dauer erfolgreich am Markt zu platzieren, heißt es nicht nur „Musikmachen“, sondern vieles mehr. Pitt (Recall 8) kümmert sich um die Organisation des Labels, um die Promotion und um die Bookings der Miditonal Artists. Das komplette Cooperate Design und den grafischen Teil des Labels hat unser Freund und Miditonal Mitbegründer Daniel Beckert alias dp303 übernommen. Als ehemaliger Grafiker bei Premiere und Student für Webdesign bietet sich das ja auch an. Ich für meinen Part hege den kompletten Verkaufs- und Vertriebsapparat, natürlich bestärkt durch meine Vertriebsleiter- und A&R Position bei Deejay.de.
Welche Releases haben wesentlich zum Erfolg beigetragen und worin seht ihr das primäre Ziel des Labels?
R8: So genau möchten wir dass gar nicht erörtern, da jeder Künstler, jeder Track und somit auch jede Platte zum Gesamtwerk beigetragen hat. Unser Ziel besteht natürlich darin, so lang wie möglich mit Miditonal aktiv zu sein, neue Gesichter in die Labellandschaft zu integrieren und diese mit Veröffentlichungen zu unterstützen. Allgemein gehört es einfach dazu gewisse Potentiale unserer Szene zu erkennen und zu fördern, ansonsten bedeutet das zwangsläufig Stillstand.
Miditonal wird oft in einem Atemzug mit dem Begriff Wonky genannt. In den bekannten Foren wie Ostcode oder Tekknoforum wurde dieses Thema ebenfalls mehrmals ausdiskutiert. Identifiziert ihr euch voll und ganz mit Wonky und wie steht ihr den Meinungen gegenüber?
CR: Ehrlich gesagt ist uns das egal, wie jeder Einzelne das wohl nennen mag. Unsere Musik ist mit markanten Charakteren verschiedener Genres bestückt und „Wonky“ nur der passende Begriff diese Symbiose zu beschreiben. Denn betrachtet man sich die Produktionsweisen und -inhalte der einzelnen Tracks etwas genauer, so fällt auf, dass sie im Gesamtkontext mit viel „Shuffle“, ausgewählten Plug Ins und Breaks produziert werden, welche wiederum genau das erzielen, was das Wort „Wonky“ aussagt, nämlich „wackelig/versetzt“ zu sein. Im Endeffekt bleibt es trotzdem Techno, Punkt! Zum Thema Diskussionsforen im Internet sei nur so viel gesagt: Der ganze Forenwahn interessiert uns eher wenig. Wir konzentrieren uns lieber auf wichtigere Dinge, als unsere kostbare Zeit ins so genannte „Offtopic“ gleiten zu lassen. Warum für Etwas Zeit verschwenden, wenn meist persönliche Geschmäcker eine übergeordnete Rolle spielen oder unsachlich bzw. ohne jeglichen Erörterungsansatz kommentiert wird? Für kostenlose Promotion und konstruktive Kritik, können solche Foren aber auch von persönlichem Nutzen sein, ganz klar.
Recall, dein Künstlername ist ja entstanden wegen deiner Beeinflussung durch die englischen Rave- & Breakbeathelden Altern 8. Was hat sich für dich seit dem Rave zu Beginn der neunziger Jahre bis heute in musikalischer Hinsicht verändert?
R8: Verändert hat sich natürlich Einiges. Ich war damals 11 Jahre alt und das Ganze was heute einem jeweiligen Stil oder Subgenre zugeordnet wird, hieß damals noch schlicht und einfach Techno bzw. Techno-House. Außerdem bin ich der Meinung, dass seit der Zeit als die Raving Society kommerziell und ohne wirklichen Inhalt ausgeschlachtet wurde, unserer Musik ein wenig die Seele verloren ging. War es Anfangs noch Musik, die mit primitiven technischen Mitteln und eher aus der Not heraus geboren wurde, ist es heute, wie im Übrigen bei fast jeder Musik so, dass zuerst immer das Geld im Vordergrund steht und Kreativität nur dem Konsumverhalten einer Zielgruppe untergeordnet wird. Durch meine Arbeit bei Techno.de durfte ich immer wieder miterleben, wie wirklich hinter den Kulissen gearbeitet wurde und wie schlechte Musik durch Finanzspritzen der Majorscompanies oder durch DJ-Tipps, die nie repräsentativ genug waren, zu guter Musik ernannt wurde. Anfang der Neuziger war das alles noch ehrlicher. Damals hat sich Musik eben verkauft, weil sie einen eigenen Charakter besaß, neue kreative Strukturen auf wies und nicht „so“ oder „so“ klingen musste, wie es andere gerne gehabt hätten. Sieht man mal im Groben über die subjektiven Anschauungen und persönlichen Geschmäcker eines Jeden hinweg, so fasziniert ein Song oder Track dann, wenn er dich ergreift, dich zum Nachdenken anregt oder zum Tanzen animiert und nicht wenn es dir eine andere, nennen wir es mal „Instanz“, aufzudrücken versucht. Aber genauso wenig kann ich etwas damit anfangen, wenn mir jemand seinen Liveact, seine Tracks oder seine Produktionen als etwas Einzigartiges verkaufen will, doch außer einem immer gleich bleibenden und stupiden Arrangement aus Rhythmuspart und vereinzelten Sounds nichts an Innovation zu bieten hat, egal wie „undergroundig“, hart oder minimal das sein mag. Mal ganz ehrlich, so etwas „Inhaltsloses“ kann meine Großmutter, die davon gegebener Weise wenig Ahnung hat, in gleicher Art und Weise auch noch produzieren! Bedenkt man nur mal, was mit der heutigen Technik für geniale Vorraussetzungen gegeben sind, ein abwechslungsreiches, musikalisches Werk zu kreieren, so ist es schon eine ziemlich magere Ausbeute zu dem was Leute wie zum Beispiel Altern 8 oder SL2 vor 15 Jahren erschafft haben, die im übrigen ohne diese vielfältigen, technischen Gegebenheiten auskommen mussten. Mein Name Recall 8 resultiert daher aus den Erinnerungen der damaligen Zeit und den damit verbunden Lebensgefühlen. Eine Homage an meine Idole und deren einzigartiger Musik, ein „Zurückrufen“ eines außergewöhnlichen Spirits eben!
Wie lange möchtet ihr noch Techno in der jetzigen Art und Weise leben?
CR: So lang es Bier und Döner mit Nudeln gibt.
Hat euch die Verbundenheit zur elektronischen Musik, wie z.B. die damit einhergehenden Partynächte sehr in euren Lebensweisen beeinflusst?
R8: Ganz ehrlich, Techno ist mittlerweile zum Fulltime-Job geworden. Man hat so gut wie keine Freizeit mehr und zum ausgiebigen Schlafen kommt man gerade in Produktionsphasen nur bedingt. Wie sagte einst ein Künstler: „Kreativität kennt keine Zeit und keine Grenzen“, das trifft den Nagel auf dem Kopf. Denkt man nur mal an den ganzen organisatorischen „Kram“ eines Labels, so wird ganz schnell ersichtlich, dass immer wieder zu wenig Zeit bleibt, sich auch mal einer ausführlichen Studio-Jam-Session oder auch anderen Interessen hinzugeben. Wiederum heißt das, dass man sich seine Zeit noch besser und effektiver einteilen muss aber auch nach drei Jahren ständiger Arbeit wieder einmal Urlaub anstehen sollte!
MIDI008 erscheint am 08.05.06 exklusiv über Deejay.de - Distribution