Märzveilchen
- Genre
- Tagebuch, Briefroman
- Autor
- Sarah Kirsch
- Verlag
- DVA
- Erscheinungsdatum
- 27.02.2012
- Erscheinungsform
- Gebundenes Buch, Schutzumschlag, 240 Seiten
Bewertung
Michael Möbius, Jun 20124 / 5 Sternen
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In Blüte stehende Bilder - Sprachliche wie auch Aquarelle sind gemeint. Zumindest gehen die Knospen einiger Sätze und poetischer Fetzen auf. Was dem Leser nun aber blüht, ist das was die Dichterin Sarah Kirsch über ihren Alltag ihrem Tagebuch anvertraute. Im angenehmen Plauderton. Der erfasste Zeitraum erstreckt sich, in dem vorliegenden Büchlein, vom 10. Dezember 2001 bis zum 22. September 2002. Thematisch wird unter anderem über tragisches Geschehen in Krieg und sonstiger Katastrophe geradezu telegraphisch berichtet. Oder auch eher journalistisch ist hier der Stil, jedoch hin und wieder mit relativ deutlicher Meinung eingeordnet. Häufiger jedoch wird das Ereignis in dem Rahmen der anderem berichtenswerten Dinge hängen gelassen, als wäre dazu etwas zu sagen im Grunde unnötig, da das, was zu sagen wäre, eigentlich jedem klar sein müsste oder zumindest sein sollte.
So viel zum Weltgeschehen. Interessanter ist vielmehr die Wortfindung deren Ergebnis hier offenbar wird. Da wird berlinert, und hübsch erfunden, bayovarisch gibt es auch auf die Ohren bzw. Augen, ein paar Zitatschnipsel werden noch hineingeleimt, ein paar Namen umgespielt und schon ist dem Leser hier oder auch schon mal da ein Rätsel gestellt.
Fröhliches Raten! Doch ganz eigen ist die Stimmung, die aufkommt. Oft erscheint die Autorin als heitere Einsiedlerin, malende Gärtnerin, die (wie zufällig) auch noch schreibt. Letzteres wird besonders bei den lyrischen Eintragungen ersichtlich, das Arbeiten selbst wird jedoch auch relativ schnell runtererzählt. Einen großen Teil nimmt das Wetter und das damit verbundene gärtnerische Handwerk ein, wie neben der pflanzlichen auch die tierische Umgebung gern und häufig Erwähnung findet. Hierbei werden die schönsten, sprachlichen Bilder gemalt, von denen einige wirklich genussvoll sind. Was schwer zu beschreiben ist, sollte man vielleicht zitieren:
„05. Jaguar 2002, Donner [...] Abends mein Eric Rohmer-Film wieder angesehen: es ist wie im wirklichen Leben, aussichtslos traurig. Darüber muss ich lachen.“ (S.31)
„07. Zebra 2002, Donnerstag [...] Hellblau-grau marmorierter Himmel. Dieses zu haben ist wunderbar! Abgeschottete Nerven. [...] Seh diesen Drosseln zu, wie sie auf der Wiese dann sitzen, steigen und stürzen. [...] Bin sehr zufrieden in Weltrand zu schweben. Schönstes Himmelstheater! Schräges Licht, Scheinwerfer in silbergraue Wolkenrollos. Heute ein zärtlich verschwimmender Horizont.“ (S.62)
„21. Mandril, Sonntag [...] Massiver Nebel in Schwanenweiß. Später sah ich die Schachbrettblumen. Entzückende Wesen. Der Löwenzahn reißt die Mäuler auf. Im Garten gesessen. Vogelgebrüll und 15 Grad im Schatten. Die Blätter explodieren nun förmlich. Nach den Ulmen erhalten die Linden ihr Grün. So geht es eine ganze Weile mit den Neuheiten. Bis hin zum Christusdorn. Der is immer der Letzte.“ (S.115)
Nur drei Beispiele aus dem Kreise von 22 markierten Seiten bzw. Tagen, welche dem Rezensenten besonders gefielen. Der Buchtitel, übrigens, stammt von einem hier auch abgedruckten Gedicht, welches mit selbigem Titel versehen ward. Frau Kirsch schreibt dann noch so einiges über ihre Lektüre, was der Fernseher dann doch mal Gutes bereithielt, oder was sie an Filmen sah. Auch ihre jeweils anstehenden Reisen werden kurz abgehandelt.
Hier jedoch noch eine kritische Anmerkung. Jeder Tag erhält mindestens eine Seite an Platz, die jedoch meist nur sehr mäßig gefüllt wird. Was bedeutet, dass der potentielle Käufer viel weißes Papier mitbezahlt. Bei Lyrik mag dies angehen. Aber bei Tagebucheinträgen? Auch der oben abgegrenzte zeitliche Rahmen ist doch etwas kurz, nicht einmal ein Jahr begleitet der Leser Frau Kirsch durch einen Teil ihrer Gedanken- und Erlebnisswelten.
Doch insgesamt ist es ein gutes Buch. Alles kommt leicht daher. All das ist nett, bis hin zu sehr hübsch. Nur für wen ist dies alles? In erster Linie natürlich für Frau Kirsch bzw. ihr Tagebuch. In Zweiter jedoch für die potentielle Leserschaft. Und wer wäre dies wohl? Nun, eine nicht ganz einfache Frage, dies. Vermutlich Kirsch-Fans, oder solche, welche die obigen Zitate ansprachen, des Weiteren an biographischem interessierte Leser. War es das? Gut möglich. Weswegen dies Werk auch ganz sicher nicht jedem zu empfehlen ist. Obschon es gefällig ist. Man möge konzentriert abwägen, für und eventuell auch wider. Doch der Rezensent freut sich seines Exemplars und das ist manchmal schon viel wert. Als kleiner Zusatz sei an dieser Stelle noch darauf verwiesen, dass der Buchumschlag, mit einem Teil eines „Akwarell“ (wie die Künstlerin und Autorin zu schreiben pflegt) aufwartet. (Text: Thomas Treichel)
Über die Autorin
Quelle: DVA - Sarah Kirsch (1935-2013), geboren in Limlingerode am Harz, studierte Biologie und Literatur und lebte bis zu ihrer Ausbürgerung 1977 im Osten Berlins, siedelte dann in den Westen der Stadt über. 1981 zog sie in den Norden Deutschlands, wo sie bis zu ihrem Tod als freie Schriftstellerin und Malerin in Tielenhemme, Schleswig-Holstein, lebte. Für ihr dichterisches Werk wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Georg-Büchner-Preis, dem Jean-Paul-Preis sowie dem Johann-Heinrich-Voß-Preis.