Am 24. Januar erschien „Fausto” der neue Roman von Oliver Dierssen. Nach seinem erfolgreichen Erstlingswerk „Fledermausland” widmet er sich nun einer jüngeren Zielgruppe und bleibt dank seines individuellen Schreibstils dennoch für seine bisherigen Fans interessant. Mehr zu Oliver und seinem Werk erfahrt ihr nun im Interview ...
Um ein Bild von dir zu bekommen, beschreibe dich doch mal bitte selbst bei deiner Arbeit an einem Buch. Häufen sich da Berge von Kaffeebechern und abgekauten Bleistiften neben dir oder liegt alles fein säuberlich auf dem Schreibtisch?
Ich schreibe am Notebook, und das steht meistens im Arbeitszimmer, auf einem kleinen, vollgerümpelten Schreibtisch. Aktuell liegen (neben unzähligen Papieren, Behördensachen, Quittungen, leeren und beschriebenen DVDs, Soundtracks, leeren Druckerpatronen, Kaffeebechern) noch herum: Babyrassel, Gedichtbände, eine lustige Kappe eines verschollenen USB-Sticks. Notizen befinden sich nicht auf, sondern über dem Schreibtisch, auf kleinen bunten Zetteln, mit denen ich systematisch die Wand zuklebe und die ich nach Abschluss eines Projekts vernichte. Hatte ich die Kaffeebecher schon erwähnt? Die sind wichtig. Kaffee muss systematisch vernichtet werden ...
Nun steht ja bereits dein zweites Buch in den Läden. Hättest du mit so viel Anklang und Erfolg für dein erstes Buch gerechnet?
Nein. Wer sowas ernsthaft erwartet, ist vermutlich ziemlich verstiegen oder hat eine Reihe richtig guter Motivations-CDs in der Kiste. („Fledermausland“ steht ja nicht auf der Spiegel-Bestsellerliste oder so. Aber trotzdem: Nein. Ganz und gar nicht.) Wer kauft schon lustige Bücher mit einer Fledermaus auf dem Buchdeckel? Wer interessiert sich für depressive Vampire in Hannover? Für alkoholabhängige Zombies? Wie ich feststellen durfte: Erheblich mehr Leute, als ich erwartet hatte. Kinder lesen es auch. Und ältere Menschen. Und Leute in Polen, habe ich mir sagen lassen. Ich werde natürlich nicht mit Geld überhäuft, muss ich dazu sagen. Und die Messlatte für „Fausto“ liegt natürlich einen Zacken höher. Aber von sowas darf man sich nicht irritieren lassen. Es ist ja nicht der kommerzielle Erfolg, der das Schreiben ausmacht. Sondern das wunderbare Gefühl, wenn man morgens um sechs aufwacht und sich darauf freut, einen Cappuccino zu kochen und sich an den Schreibtisch zu setzen und dann für ein paar Stunden wunderbar abzutauchen und irgendwann verstrahlt an den Mittagstisch zu taumeln und sich einfach gut zu fühlen.
Auch in "Fausto" gibt es ja wieder fantasiereiche Figuren. Wie bist du ausgerechnet auf ein pelziges Geschöpf gekommen, was sich von Rechtschreibfehlern ernährt?
Die klassische Frage: Woher nehmen Sie Ihre Ideen? Es funktioniert auf jeden Fall nicht so, dass man sich grübelisch hinhockt und sich überlegt: „Was könnte denn so lustig und possierlich sein, dass es einen ganzen Roman über trägt?“ Es ist eher so, dass ja den meisten Leuten ja irgendwelcher Kram einfällt, den sie dann allerdings nicht ernst nehmen und einfach wieder vergessen. Der Trick ist, solche Dinge eben nicht zu den Akten zu legen, sondern sich eine Notiz zu machen und den Gedanken weiterzuspinnen. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit vor dem Bücherschreiben, wo ich bei solchen Geistesblitzen dachte: „Da müsste irgendwer mal ein Buch drüber schreiben.“ Wobei ich damals ja keine Ahnung davon hatte, dass es wirklich funktioniert.
Faustos Name, Fausto Flamingo Esteban de Rioja, zergeht ja förmlich auf der Zunge. Woher genau kommt er und wie sieht Fausto aus?
Schön, dass Fausto appetitlich klingt. Er kommt nämlich aus dem Müll, wo er die letzten fünfundzwanzig Jahre gewohnt und größtenteils geschlafen hat. Da hat ihn Joschels Mutter her, die ein Faible für weggeschmissene Sachen hat und ihre kleine Wohnung mit allem möglichen Krempel vollstopft. Fausto ist ein kleines schwarzes dämonisches Fellknäuel mit einigen Augen und einem kleinen Horn. Er ist ziemlich verrückt auf alles, was mit Rechtschreibfehlern zu tun hat. Und da ist Fausto bei Joschel Fittich genau richtig, der hat davon nämlich jede Menge im Gepäck. Zu Beginn der Geschichte passt Fausto locker in eine Raviolidose. Das Problem ist, dass er ziemlich schnell wächst, wenn er gut gefüttert wird. Und an Futter mangelt es ihm unter Joschels Bett zwischen den ganzen verhauenen Klassenarbeiten nun ganz und gar nicht.
Auch Joschels Mutter scheint ja ein verrücktes Huhn zu sein?! Müssen für solche Persönlichkeiten Freunde und Bekannte herhalten oder beziehst du da deine Arbeit als Arzt in einer psychiatrischen Klinik mit ein?
Die allermeisten Menschen haben ja mehr als genug kleine Macken, die man nur ein wenig aufpolieren und ausreizen braucht – und schon taugen sie für eine Romanfigur. Vermutlich bin ich also selbst verrückt genug ... bislang ist mir jedenfalls das Material nicht ausgegangen. Die psychiatrische Arbeit ist insofern wichtig, als dass man sich angewöhnt, bei Menschen etwas genauer hinzuschauen. Aber bei mir braucht kein Patient befürchten, dass er irgendwann in einem Buch auftaucht. Am liebsten klaue ich ohnehin bei Leute, die sich drüber freuen und bereitwillig über ihre Erfahrungen, Ideen und Befürchtungen plaudern und sich am Ende tierisch freuen, wenn der eine oder andere Satz wirklich im Roman steht. Es ist aber ziemlich unmöglich, dass sich irgendjemand wiedererkennt. Denn eine Romanfigur so richtig aufblüht, braucht sie Einflüsse von so einigen Personen. Quasi ein psychologischer Eintopf.
In einem älteren Interview von dir habe ich gelesen, dass du dich nicht gleich mit der Fledermaus auf dem Cover deines ersten Buches anfreunden konntest. Hattest du diesmal mehr Mitspracherecht in Sachen Covergestaltung?
Ich habe neulich mitbekommen, wie ein älterer, erfahrenerer Fantasy-Autor so einiges mitzureden hatte, als es um seine Cover ging. Vermutlich ist dies das Zeichen, dass man im Establishment angekommen ist. Bei mir läuft das so, dass ich mich – positiv formuliert – einfach überraschen lasse und mich dann – positiv formuliert – über das Ergebnis freue. Ein bisschen wie Weihnachten. Der Schlüsselsatz des Verlags lautet: „Also, wir finden das alle toll ... äh ... es muss dir einfach gefallen.“ Aber ich kann wirklich nicht klagen. Die Krickelei auf dem Fausto-Cover finde ich super, sie sieht wirklich appetitlich aus, sie passt perfekt zum Text, und sie hat den Prozess der Innenillustrationen maßgeblich beeinflusst. Und da ich mit dem Illustrator schon seit Jahren vertrauensvoll zusammenarbeite, durfte ich da auch meinen Senf dazu geben. Übrigens ist der durchkorrigierte Text auf dem Umschlag tatsächlich der Romananfang.
Zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft ... Sind weitere Werke geplant oder wird vieleicht schon an dem Nächsten gearbeitet?
Aktuell bin ich noch dabei, die dicken Haufen Altpapier zu entsorgen, die bei der Korrektur von Fausto entstanden sind. Ein paar Kilo sind das schon. Und die Notizzettel von den Wänden meines Arbeitszimmers zu pflücken. Und erstmal von „Fausto“ runterzukommen, an dem ich seit 2008 immer mal wieder und im letzten halben Jahr – neben dem Job – quasi ununterbrochen gesessen habe. Jetzt ist Pause angesagt, die Playstation darf auch mal laufen, unzählige Bücher wollen gelesen werden. Aber hinter den Kulissen arbeitet es schon wieder, einen Buchvertrag gibt es auch schon, und ab Sommer wird wieder geschrieben. 2012 geht es weiter, versprochen.
Interview: Constanze Haffki