Unser Guido
- Genre
- Satire
- Autor
- Christian Meurer
- Verlag
- Heyne
- Erscheinungsdatum
- 13.06.2011
- Erscheinungsform
- Paperback, 235 Seiten
Bewertung
Michael Möbius, Aug 20114 / 5 Sternen
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Ein verfrühter Nekrolog...Es gibt noch immer so unendlich viele Ungereimtheiten auf dieser Erde! Über ein paar von diesen vermag das Buch von Christian Meurer, mit dem wohl zärtlich gemeinten Titel „Unser Guido“, aufzuklären. Wen zum Beispiel schon immer interessierte, warum FDP, also das Kürzel der freien demokratischen Partei, nicht (mehr) gepunktet ist, wie schwer wohl das Guidomobil war, wo Dr. Westerwelle seine abgetragenen 18%-Schuhe hinbrachte oder etwa welche natürliche Begabung er gern hätte, der wird hier fündig werden. Zumindest Letzteres sei hier auch verraten: Der Außenminister antwortete, vermutlich im Gedenken an Möllemann, „Fliegen, aber ohne Hilfsmittel.“ Womit sich dem Leser gleich die nächste Frage beantwortet. Was ist Realsatire? Ganz einfach: Guido Westerwelle im O-Ton. Da die 272 vorliegenden Seiten satirisch sein wollen, findet sich denn auch Einiges was dieser so vom Stapel ließ.
Doch von Anfang. Dort startet nämlich auch der Autor. Der Werdegang des blau-gelben Aufsteigers beginnt. Ziemlich grün. Wie nicht anders zu erwarten, bei der Farbmischung. So tritt er als Vorsitzender der „Jungen Liberalen“ für eine ökonomische Absicherung der Studenten ein und zwar durch Sozialleistungen. Auch der Ausstieg aus der Kernkraft, sowie ein Verzicht auf Stationierung von Mittel- und Langstreckenraketen forderte Guido bereits 1988 in der Parteizeitschrift „jung und liberal“. Ein Jahr später, im selben Medium, behagt ihm das Geschacher um den Bundespräsidenten-posten nicht, später hatte er damit kein Problem mehr, als er in seiner Wohnung mit Frau Merkel und Herrn Stoiber Nämliches selber betrieb. Er wendete sich gleichsam gegen unsinnige Rüstungsmaßnahmen wie den Jäger 90 (Eurofighter), der nun jüngst, ein „wenig“ verspätet und ein „klein bisschen“ teurer als erwartet (was zu erwarten war), unter der Schwarz-Gelben Regierung ausgeliefert wurde. Er gab auch den Leitspruch aus „Perspektive statt Pragmatismus“, welcher nunmehr eher genau umgekehrt attestiert werden müsste, so man eine politische Bilanz seines Wirkens ziehen wollte, wie hier geschehen.
Doch das waren ja auch Jugendsünden! Sein Aufstieg geht weiter, scheint unaufhaltsam. Und mit der Macht nimmt die Gelenkigkeit seines Wendehalses zu, als Segler weiß er dabei auch stets von wo der Wind weht, um sein Fähnchen (selbstverständlich ein blau-gelbes) danach zu richten. Die Intrigen und Kungeleien sind dabei vermutlich exemplarisch für die meisten Parteigrößen jeglicher Couleur, was insofern zwar interessant ist, aber nicht gerade neu. Die Karrierestationen sind abgehakt und der Leser folgt Guido nun in den Bundestag, wo er sich abhebt. Besonders durch seine Zwischenrufe, die wie beim Fußball die Fans (seine Fraktion) jubeln lassen. Während die Gegenseite erwidert, applaudieren dann die gegnerischen Fans und all das hat schon etwas von Kreisklasse.
Danach folgen Skandale und Skandälchen. Mal ist der Guido (völlig grundlos) stolz Deutscher zu sein, dann lebt er eine Privatfehde mit Joschka Fischer aus. Antisemitismus-Vorwürfe, Koalitionsstreit, Wikileaks-Veröffentlichungen, sowie die Verstrickung zwischen Wirtschaft und Politik finden ebenfalls Erwähnung. Man erfährt auch einiges über den Menschen Westerwelle, etwa dass er an einer reinen Jungenschule war, dass er seine Oma verehrt und ausdauernd zitiert und dass er auch schon mal einen Witz erzählt, auch wenn er es nicht besonders gut kann. Ihm liegt wohl eher die unfreiwillige Komik.
Doch noch weitere Dimensionen der Merkwürdigkeit sind hier niedergeschrieben. Etwa ein Protokoll über die Tour des Guidomobiles zum Bundestagswahlkampf 2002. Und hier besonders anschaulich in den Formen der Bürger-Anbiederung und der Albernheit der Auftritte auf, so scheint es zumindest, beinahe allen Sommerfesten fast jeder Dorfgemeinde in nicht ganz Deutschland. Da wird der Schlüssel verloren, getankt, Geschenke angenommen, Werbung verteilt. Ausruhende Urlauber werden belästigt, Aktivisten abgespeist, sowie mit einer Kuh aus Holz und einem als Schwein verkleideten Metzger posiert. Da fliegt vielleicht die Kuh! Wenn sie Schwein hat.
Das Schlüsselwort ist: Spaßwahlkampf, der in seiner Absurdität dem mit Humor Gesegneten tatsächlich Spaß macht. Auch Big Brother darf in diesem Buch natürlich nicht fehlen (ob er beim Dschungel-Camp dann doch eine Ekelgrenze erreicht hatte?). Guido wollte hier die jungen Leute erreichen. Mit Steuersenkungsversprechen und freier Fahrt für freie Wirtschaft. Es lief... nicht gut, dafür aber im Fernsehen. Was kann ein Politiker mehr Verlangen? Und was kann man einem Politiker überhaupt abverlangen? Nun, offenbar keinen Funken Würde.
Doch nicht nur derlei Peinlichkeiten reihen sich aneinander. Gerade die angesprochenen jungen Leute fragten und fragen sich ja, eigentlich in jeder Generation seit 45, wo eigentlich die alten Nazis damals alle plötzlich hinverschwunden sind. Nun, ein Gutteil ging in die FDP. Auch ein Eklat mit Israel und dem Zentralrat der Juden in Deutschland ist in diesem Zusammenhang ziemlich interessant und auch bezeichnend für die Partei, die wirklich Alles aufzunehmen scheint. Und natürlich der Fall Möllemann! Also ... dessen Fall aus allen Wolken, gewissermaßen wie ein Flugblatt im Winde, samt Vorgeschichte und Nachhall.
Wie soll man nun all dies aber bewerten? Dieses Buch will viel, nämlich witzig und informativ sein. Dieses Ansinnen greift nur teilweise. Westerwelle ist schon zu sehr Witzfigur, als dass er auch nur ein bisschen ernst zu nehmen wäre. So kann dann auch kein echter Bruch zwischen dessen angestrebter Seriösität und seiner, mit Zitaten nachgewiesenen, Clownerie entstehen, die Fallhöhe ist einfach zu gering. Alles was man liest, ahnte man und wenn man sich ein wenig mit Politik beschäftigt, kannte man auch einiges schon. Es gibt aber doch Details, die wirklich erheitern und der reine Guido, etwa im Bundestag, ist schon manchmal saukomisch, dazwischen ist aber hier und da schon etwas Leerlauf.
Informativ sind die innerparteilichen Kämpfe, die Ellenbogenstöße. Auch die bewusste Lancierung von Forderungen, von denen man weiß, dass sie nie umgesetzt werden können/ müssen, das Spiel mit der Presse (welches auch verloren gehen kann) und dass das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss dem „Kanzlerkandidaten“ Westerwelle an den Kopf warf, dass er keinerlei echte Chance habe Kanzler zu werden, sind recht gelungen dargestellte Episoden. Doch an welches Publikum richtet sich dieses Buch, wem kann man es empfehlen? Solchen Menschen, die Satire mögen und welche sich in der politischen Landschaft auch etwas auskennen, oder zeitgeschichtlich Interessierten. Für alle Anderen, ist diese Veröffentlichung des Heyne-Verlages vielleicht ein wenig zu speziell. (Text: Thomas Treichel)