Das Rote Zimmer
- Genre
- Roman
- Autor
- August Strindberg
- Verlag
- Manesse
- Erscheinungsdatum
- 26.03.2012
- Erscheinungsform
- Gebundenes Buch, Leinen mit Schutzumschlag, 576 Seiten
Bewertung
Thomas Treichel, Jul 20124 / 5 Sternen
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Als ambivalent anzusehen ist stets eine Sache, die sich vielschichtig darstellt. Gewissermaßen Beispiel gebend hierfür, ist der Bekanntenkreis armer Künstler und Möchtegerns, welche sich unregelmäßig im Roten Zimmer einer Schenke einfinden. Da haben wir Maler, Philosophen, Schriftsteller, beinahe alle, so glauben sie, auf dem Sprung Berühmtheit zu erlangen. Was ihnen das innere Gefühl eingibt. Ein solches, welches unbändig drängt wirtschaftliche Sicherheit, so sie je in Aussicht stand, dranzugeben. Soll heißen, jene Sicherheit wäre diesen ihr gelebter Tod, da die Kompromisse eine zu arge Unterordnung verlangen würden, unter Menschen, denen jenes Gefühl fehlt. In einer sich verändernden Zeit, der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in Schweden.
Fazit
Da begleitet nun der Leser besonders den Dichter Falk, doch auch andere. Dieser nun gibt eine Beamtenlaufbahn auf, um Schriftsteller zu werden. Wie steinig dieser, von ihm erwählte, Weg sein wird, kann er nicht ahnen, doch wird er es mit dem Leser erfahren. Auftragsarbeiten, Zeitungsschmiererei und die familiär schwierige Situation werfen ihn in eine Welt des gesellschaftlichen Abgrundes, gleichsam rote Ideale radikalisieren seine politischen Ansichten, dies geschieht in Besonderheit beeinflusst durch sein Umfeld. Als Abkömmling einer neureichen Familie und Taucher in den Wassern der Armut, welche unter anderen den Andersdenkenden jener Zeit vorbehalten war, also jenen, die ihr persönliches Fortkommen, ihre geistig moralische Reifung, mit anderem maßen als Geld bzw. dem Mehrwert, welcher davon abfiel, hatte er Einblick in beide Welten. Die Schere der Armut und des Reichtums, gleichsam der Macht und der Ohnmacht, ist diesem Falk so sehr Dorn im Auge, dass er darüber wahnsinnig zu werden droht.
Die Welt in der er sich bewegt, teilt er mit vielen, denen die Neuorientierung schwerfällt, insbesondere da sich die Veränderungen als gesichtslose Maske erweisen, als das Antlitz der Vorgeschobenheit. Das Verschleiern soll. Und was? Das neue Aristokraten, des gehobenen Bürgertums, nun die Fortführung des Status quo beaufsichtigen. Mitbestimmung als Mitzustimmung, eine Mehrung der Ja-Sager.
Dieses mäandernde Wühlen durch Zeit und Raum, das man gemeinhin als Leben bezeichnet, stellt Strindberg dar. Und wie? Brutal-satirisch, schwarz-humorig, mit Bitternis randgefüllter Humorigkeit. Das ist mitunter schwerlesend zu ertragen, da es betrübt, zu erfahren wie sinn- und ziellos dies Durchwühlen der Stäube dieser Erde war oder noch immer ist bzw. hier dargestellt wird. Andererseits lehrreich, da man Schulterzucken lernt, über ach so viel Dummheit, Vorurteil, Bürokratie der gesellschaftlichen Prozesse und deren Grenzziehungen. Fatalismus, Nihilismus, ein Außerhalbsein, in Betrachtung vertieft, die ab und an in ihrer Lächerlichkeit ein Schmunzeln noch zu erzeugen vermögen. Solch Schmunzeln nun beschert auch dieses Buch, demjenigen der über sich hinweg- oder besser hinaussehen kann. Ein gewisser Hang zum Allgemeinen ist vorauszusetzen, sodass die Exempel die nötige Kraft gewinnen, das Große im Kleinen zu illustrieren.
Nicht nur inhaltlich fällt das Lesen dem Geneigten eventuell etwas schwer. Auch die Vielheit der Fußnoten ist hierfür verantwortlich. Manchmal nerven sie schlicht. An ihnen wird jedoch auch deutlich wie weit weg dies Land in dieser Zeit dem heutigen Leser ist. Wie zahlreich sind doch die Anspielungen auf Autoren, Orte, Philosophen, etc., die in ihrer Zeit witzig waren, im Jahre 2012 aber umständlich erklärt werden müssen. Wodurch sie ihren Witz so ziemlich einbüßen. Und mitunter fehlt es noch an Aufklärung, sodass ein ganzer Absatz gehobene Brauen generiert, die sich nur im Darüberhinweggehen wieder absenken können.
Was ist dem Individuum Politik, Kunst, Geld? Strindberg versucht sich, dies zu umreißen, in seiner Art. Gleichzeitig realistisch und satirisch überhöht … ein merkwürdiges Kunststück, aber auch eine Herausforderung an den Leser die jeweilige Zuordnung rechtzufinden. Sprachlich ist dies Werk ganz sicher gelungen, auch wenn manche Begriffe aus der Zeit gefallen sind. Besonders in der wörtlichen Rede der Charaktere steckt viel Geist und macht dies Buch also geistreich. Doch gerade wegen der Distanz dieser Charaktere zu uns Heutigen, ist es schwer eine Empfehlung abzugeben. Tatsächlich neigt der Rezensent dazu, nur jenen zum Kauf zu raten, welche in spekulierender Konzentration zu lesen sich befähigt glauben, die im Wahrnehmen es wagen können hinter Wahrgenommenes zu blicken und sich nicht schrecken lassen, von gelegentlich offen bleibenden Fragen. Dies Buch ist gut. Ob es gut ist es zu besitzen, ist ambivalent. (Text: Thomas Treichel)