Miss Lonelyhearts
- Genre
- Roman
- Autor
- Nathanael West
- Verlag
- Manesse
- Erscheinungsdatum
- 29.11.2012
- Erscheinungsform
- Gebundenes Buch, Leinen mit Schutzumschlag, 172 Seiten
Bewertung
Thomas Treichel, Nov 20123.5 / 5 Sternen
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Guter Rat ist teuer...Und kommt einen genau dies mitunter zu stehen. Etwa wenn man sein Herz darangibt. Und alles tut was man kann, dies alles aber viel zu wenig ist.
Um diesen kryptischen Beginn aufzulösen, es geht um das nächste Nathanael-West-Buch, welchem sich der Manesse-Verlag angenommen hat. Dies, ursprünglich in den frühen 1930ern erschienen, ist die Geschichte eines Tintenknechtes bei einer New Yorker Zeitung. Eines Mannes, welcher der Leserschaft als Miss Lonelyhearts bekannt ist und als solche verzweifelten Menschen rät, die sich vertrauensvoll an ihn, also an die Zeitung, wenden. Die gleichsam um wahre Lebenshilfe ersuchen, dessen erdrückende Lasten womöglich besser ertragen zu können. Hoffnungsvoll und hilflos.
Der Roman spielt Ende der 1920er, wo diese Text-Rubrik gerade in Mode kam und widmet sich dem Thema mit ungemein schwarz-satirischem Kalkül. Jener Mann, der auch im Buch nur als Miss Lonelyhearts auftritt, gerät über seine Arbeit in Schwierigkeiten, sowohl was seine innere Welt angeht, als auch der des äußerlichen Bildes der Großstadt. Heute würde man sagen, und so geschieht es auch im Nachwort, diesen befällt das Phänomen des Burnout, vor einiger Zeit hieß dies noch Depression und davor schlicht Hysterie. Welches Wort man aber nun benutzen mag, es meint doch beinah dasselbe.
Den Autoren der Leserbrief-Kolumne erreichen nämlich nicht nur Briefe wie sie in der Nachfolge von einem gewissen Dr. Sommer beantwortet wurden, „Ich bin in der Pubertät, was soll ich nur tun?“, nein. Es sind furchtbare Schicksale, die in Briefform sich auf die Seele legen. Solche die wohl authentisch sind, oder doch in der Summierung vieler Schicksalsschläge denkbar wären, wenn auch kaum vorstellbar bzw. nachvollziehbar sind, in dem ungeheuren Leiden, welches sie bedeuten. Und das ist auch der springende Punkt, was rät man Menschen denen man helfen will, denen aber im Grunde Nichts und Niemand mehr helfen kann (weil keiner ein zweites Leben schenken kann) und schon gar nicht ein herumklecksender, ständig betrunkener und ab und an ausrastender Sklave der Druckerschwärze, kurz vor dem totalen Zusammenbruch. Also einem, der selber dringendst Hilfe bräuchte.
So ist er etwa erzreligiös, aber ein arger Sünder, das Maß an Schuldgefühlen rechnet er sich vielleicht nicht so sehr bewusst vor, aber er spürt es doch als ein Erdrückendes. Dazu ist er weit davon entfernt, sein Tun ernst zu nehmen, da es von niemandem ernst genommen wird. Ja, sein Ressort gilt sogar als redaktionsinterner Witz, dessen wandelnde Manifestation er selber ist. Also so eine Art lebende Pointe, die allen mit einem belustigten Lächeln die Mundwinkel verunziert. Von Selbstzweifeln zerrissen, leidet er am Mitleiden durch die Briefe noch zusätzlich. Aber auch an der Sinnlosigkeit der Existenz, die ihn durch seine Hilflosigkeit und sein Unvermögen etwas zu bewegen einkommt. Außer der Herzen von Lesern, denen es wesentlich besser geht und die sich voyeuristisch am Leid der Menschen ergötzen und selbst wenn sich einmal eine Träne in ihr Auge verirrte, selbige im nächsten Augenblick sofort überblättern. Unterhaltung, dies.
Dann scheint es kurz einen Lichtblick zu geben, ein religiöses Erweckungserlebnis, doch ist dies wirklich ein solches? Und was wird jenes neue Gesicht nun wieder mit sich bringen? Wohin führt dies Gebaren, das irgendwo zwischen religiösem Eifer und Wahnsinn einzuordnen ist, wobei die Grenze zu verschwimmen scheint? Man müsste das Buch lesen, es herauszufinden. Dies sei hiermit anempfohlen.
Wenn auch selten dem Leser ein Schmunzeln beschert wird, und das Lachen im Grunde im Halse stecken bleiben muss, dies Büchlein ist, bei aller Zuspitzung, ehrlich. Es zeigt den Zynismus im Medienbetrieb Zeitung auf (jedoch nicht nur innerhalb dieser Spielart der vierten Macht) und lehrt zu hinterfragen. Etwa inwieweit die Ausbeutung des Gefühls, der Bedrängnis und des Schmerzes, bis heute Verdummung der Leserschaft herbeiführt und den Unternehmen das Budget vergoldet (Die Rede sei hier, nur zum Beispiel, von einem Blatt mit vier Buchstaben oder dessen fernsehgewordenen Verwandten vor allem im privaten Bereich).
Was geschieht Menschen die in einer zynischen Welt, das ekelhaft-brutale Spiel nicht mitmachen wollen oder können, welches an sie herangetragen wird, als Kreuz welches sie zu tragen hätten? Nun, psychosomatische Erkrankungen sind in unserer Zeit so aktuell wie nie, so scheint es zumindest. Die Grenze dessen, was als gerade noch ertragbar empfunden wird, haben möglicherweise viele längst hinter sich gelassen und ein Zurück scheint es nicht zu geben. Und so wirkt Miss Lonelyhearts mitunter überaus lächerlich, sie versucht einen Weg zu finden, den es vermutlich nicht gibt, doch weil sie ihn beruflich aufzeigen muss, darf sie nicht den Mund halten, und so kommt etwas heraus, dass aus der Welt gefallen scheint, sich an Illusionen klammert und aus abgedroschenen Sprüchen und Bibelzitaten zusammengeschustert ist. Dabei aber einen priesterlich-salbungsvollen Ton trifft, der die Leute veranlasst Miss Lonelyhearts eben die Herzen auszuschütten.
Er ist absurd, weil die Situation absurd ist. Und so ist auch dieses Buch, wie schon „Eine glatte Million“ eine Abrechnung mit der Gesellschaft und dem dieser vorgeschobenen Bild, welches den Irrsinn kaschiert. Jenen der Beeinflussung, der Indoktrinierung die zum stillen Durchleiden mahnt, die tröstet, aber nichts bessert. Die eine Belohnung verspricht im Jenseits und Jesus redundant für die Sünden der Menschen in der Zeitung kreuzigt.
Man lasse sich ergreifen. Von dieser Art schmerzlichen Aufzeigens. Dieser Konzentrierung realer Missstände, der Herausdestillierung der Essenz allen Abgehängtseins, um die Trauer der Miss Lonelyhearts nachvollziehen zu können. Das Thema macht einem dieses vielleicht nicht gerade einfach, aber man kann es doch einmal wagen, auch auf die Gefahr hin, daran zu scheitern. Die Sprache erschwert das Verständnis nicht, genauso wenig wie die Kürze des Buches. Die Anmerkungen wissen zusätzlich Interessantes zu berichten und das Nachwort hilft bei der Einordnung. Also trauen Sie sich die Lektüre zu, liebe Leserschaft. Denn im Verständnis ist oft Gefallen, auch und besonders an der Tragödie, die sich tarnt. (Text: Thomas Treichel)